Therapeutische Anwendung von Licht
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Therapeutische Anwendung von Licht

Forschungsupdate.

Das Sonnenlicht ist die wichtigste Energiequelle und erhält alles Leben auf Erde. Daher verwundert es nicht, dass das Sonnenlicht eine einflussreiche Rolle bei der menschlichen Gesundheit spielt. Der Einsatz des Lichts als Heilmittel ist so alt wie die Menschheit selbst und wird in altägyptischen, altindischen und altgriechischen Texten dokumentiert. Das Sonnenlicht war ein entscheidendes medizinisches Hilfsmittel in der Antike, entweder in seiner reinsten Form als Heliotherapie oder durch Edelsteine sowie andere farbige Materialien gefiltert. Im Westen wurde die Rolle des Sonnenlichts viele Jahrhunderte lang gar nicht berücksichtigt, da das Christentum die Heliotherapie als eine Art Sonnenanbetung betrachtete und sie als Heidentum verbot. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigten sich die Menschen erneut für das Sonnenlicht interessiert. Während dieser Zeit wurde die Lichtmedizin mit so viel Respekt begegnet, dass im Jahr 1903 einer der ersten Nobelpreise für Medizin an Nils Ryberg Finsen ging, der Pionierarbeit im Bereich der Phototherapie geleistet hat. Doch durch die Entwicklung und breite Anwendung von Antibiotika in den 1930er-Jahren wurde die Lichttherapie schnell wieder als "medizinisches Heidentum" betrachtet und erfuhr eine Renaissance erst wieder als zwei entscheidende Entdeckungen gemacht wurden.

 

Licht für den Körper: medizinische Anwendungen

 

Die erste Entdeckung stellte fest, dass Licht den Stoffwechselprozess in den Zellen direkt fördern kann und zwar durch eine komplexe Reihe von biochemischen Prozessen, welche von der wichtigsten Forscherin auf diesem Gebiet, Prof. Tiina Karu, als Photobiomodulation bezeichnet wird. Sie identifizierte die winzig kleinen Mitochondrien in menschlichen Zellen mit hohem Energieverbrauch als die Hauptempfänger von Lichtstimulation, überwiegend durch Lichtfrequenzen im roten und nahen infraroten Bereich bedingt. Dieses Verständnis eröffnete das gänzlich neue Forschungsfeld "Low-Level-Lasertherapie" (LLLT), wobei nicht thermale Laserlichtenergie eingesetzt wird, um Nervenzellen und Weichgewebszellen regenerativ zu behandeln. LLLT heute immer mehr Akzeptanz. Intensive Forschungsstudien zu den grundlegenden zellulären Prozessen der Photobiomodulation werden derzeit weltweit durchgeführt und die spezifischen Auswirkungen verschiedener Farben werden erkundet. Blaues Licht wird zum Beispiel für die Behandlung von Akne eingesetzt, Gelb-Orange für die Hautstraffung, Rot zur Heilung von Wunden und Infrarot zur Entlastung von Gelenken. Eine der interessantesten Entwicklungen der vergangenen Jahre ist zudem die transkranielle Lichttherapie. Dabei wird infrarotes Licht durch das Cranium zur Heilung von Gehirnzellen gestrahlt. Die Behandlung kann auch die Symptome von Schlaganfällen, Demenz sowie Depressionen lindern.

Die zweite wichtige Entdeckung ist die Tatsache, dass es nicht-visuelle Wirkungen von Licht gibt, die einen enormen Einfluss auf unser Hormonsystem haben. Diese sind getrennt von der Sehbahn zu betrachten, welche als die Kette verschalteter Neuronen des visuellen Systems vom Auge bis zum primären visuellen Cortex im Großhirn verstanden wird. Dass Licht nicht-visuelle Wirkungen haben könnte, wurde seit Jahrzenten vermutet. Erst im Jahr 2000 wurde ein neuer Typ von Fotorezeptoren positiv identifiziert: intrinsisch photosensitive Ganglienzellen (iPRGCs), welche das Protein Melanopsin ausschütten und biologische Reaktionen im Körper auslösen. Melanopsin wurde zuerst in Invertebraten identifiziert und dementsprechend eher mit wirbellosen Tieren in Verbindung gebracht als mit Säugetieren. Die iPRGCs sind direkt mit dem Hypothalamus verbunden und beeinflussen unseren Melatoninspiegel sowie unseren zirkadianen Rhythmus. Als therapeutische Anwendung ist daraus die Bright-Light-Therapy zur Behandlung von saisonal abhängigen Depressionen (SAD) entstanden. Diese Anwendung hat sich so bewährt, dass sie heute in der Tat in der öffentlichen Wahrnehmung gleichbedeutend mit dem Begriff "Lichttherapie" verstanden wird.

Diese Entdeckung hatte tiefgreifende Folgen für Lichtdesigner: Die Lichtplanungen und -gestaltungen mussten nicht nur wirtschaftliche und ästhetische Aspekte berücksichtigen; sie beeinflussten nun auch unsere Gesundheit. Der Blauanteil in dem Licht in Wohnräumen, ausgedrückt als Farbtemperatur (Grad Kelvin), wurde zum Kernaspekt des Designs. Im Allgemeinen schien es ursprünglich relativ klar zu sein: Hohe Farbtemperaturen (über 5.000 Grad Kelvin, eher bläulicher) vormittags und mittags, um die Wachsamkeit zu fördern; niedrige Farbtemperaturen (weniger als 3.000 Grad Kelvin, eher gelblich) abends, um den Tagesrhythmus nicht zu untergraben.

Viel ist in den letzten zehn Jahren über die nicht-visuellen Wirkungen von Licht berichtet worden. Hunderte von Forschungsstudien zu diesem Thema werden jährlich veröffentlicht, aber sie haben nur die außerordentliche Komplexität des Themas unterstrichen. Während die eben erwähnten allgemeinen Empfehlungen ihre Gültigkeit im Wesentlichen bewahren, sind ab 2010 immer mehr Zweifel daran aufgekommen. Vor ein paar Jahren wurden 14 führende Forscher auf diesem Gebiet nach ihre Meinung zum Thema "Measuring and Using Light in the Melanopsin Age" (Messung und Anwendung von Licht im Melanopsin-Alter) gefragt. Sie kamen zu dem Schluss: "Einfache  Vorschriften schaden wahrscheinlich genauso viel wie sie nützen. Und sogar Fachleute unterscheiden sich sehr, wenn es unter gewissen Bedingungen um Best-Practice geht."

Hier ein paar Beispiele der Komplexitäten, so wie sie heute erscheinen: zusätzlich zur Reaktion auf das eigene Melanopsin-Pigment leiten die nicht-visuellen iPRGCs auch Stimuli von den visuellen Fotorezeptoren – die Stäbchen und Zapfen – weiter. Die entstehende zirkadiane Empfindlichkeit für Licht wird jetzt als komplexes Netz betrachtet, das sowohl visuelle als auch nicht-visuelle Hinweise und Signale einbindet; das erste Modell richtete sich nach einer Melatoninunterdrückung bei 460 Nanometer (nm). Heute wird das Spektrum der zirkadianen Empfindlichkeit durch differenziertere nichtlineare Modelle beschrieben, welche eine Verschiebung  der durchschnittlichen Spitze auf 490nm aufweisen; bis zu fünf unterschiedlichen iPRGCs sind bisher identifiziert worden, jede mit dem eigenen Aktionsspektrum und dendritischer Vernetzung; die wesentlich unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten der verschiedenen iPRGC-Typen sowie der "traditionellen" Stäbchen und Zapfen deuten auf eine komplexe zeitliche und räumliche Dynamik innerhalb der retinalen  Ganglienzellenmatrix; die saubere Differenzierung der visuellen und nicht-visuellen Systeme ist nicht mehr relevant: Es wird angenommen, dass die iPRGCs über den Hypothalamus hinaus wirken und auf alle für das Sehvermögen wichtigen Hirnregionen einwirken. Demzufolge erstreckt sich ihr Einfluss auch auf Aspekte der visuellen Wahrnehmung; der zirkadiane Rhythmus – die innere Uhr – wird tatsächlich eher durch die intensiven Variationen in der Farbtemperatur bei Morgen- und Abenddämmerung gesteuert als durch den Farbtemperatur-Wert selbst, was weitreichende Folgen für "Human-Centric Lighting Design" hat.

Wen das Ganze etwas verwirrt, der muss nicht zweifeln, denn er steht nicht alleine da.

 

Lichthygiene: Die LED-Kontroverse

Die LED-Revolution entfaltet sich parallel zu den fortlaufenden Forschungsarbeiten und führt zu zahlreichen Kontroversen um die gesundheitlichen Folgen von der LED-Beleuchtung, wobei die Fachleute sowohl pro als auch contra Stellung beziehen.

Einige der Hauptanliegen drehen sich um die Risiken, die mit der blauen Spitze bei 440 bis 460nm im Spektrum beinah aller weißen LEDs verbunden werden, welche für die Allgemeinbeleuchtung verwendet werden. Die angesprochenen Risiken können den zirkadianen Rhythmus potenziell beeinträchtigen und zu einer irreparablen Schädigung der Netzhaut führen. Diese wird durch oxidative Photodegradation (so genannte "Blue Light Hazard" bei 450nm) verursacht und hängt möglicherweise auch mit altersbedingter Makula-Degeneration (AMD) zusammen. Die LED-Industrie weist solche Behauptungen zurück und zitiert öffentliche Bekanntmachungen wie der Bericht "True Colors" des US-amerikanischen Energieministeriums aus dem Jahr 2014, der darauf hinwies, dass die Debatte sich nicht nur um LEDs drehe, sondern eher um die korrelierte Farbtemperatur von Leuchtmitteln im Allgemeinen. Weitere maßgebliche Berichte von der Internationalen Energieagentur und dem Wissenschaftlichen Ausschuss der EU "Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken" (SCENIHR) legen auch fest, dass die mit dem blauen Licht zusammenhängenden Risiken nicht schlimmer bei LEDs sind als beim Sonnenlicht, das eindeutig sicher ist.  

Viele Lichtplaner haben sich derzeit von diesen Argumenten anscheinend beruhigen lassen – aber bei weitem nicht alle, besonders die Lichtfachleute, die sich auf therapeutische Lichtanwendungen spezialisieren (wie die International Light Association). Ein Thema, das zur Sprache gebracht worden ist, ist die Gültigkeit von kalkulierten Risikofaktoren, die durch das Integrieren von Aktionsfunktionen in dem für den Menschen sichtbaren Spektrum ermittelt werden; solche Mittelungsprozesse können zu scheinbar gleichwertigen Ergebnissen bei sehr unausgewogenen Spektren führen und neigen dazu, die punktuellen Wirkungen auszublenden, welche von spezifischen, biologisch aktiven Lichtfrequenzen verursacht werden. Dies ist in Bezug auf den negativen Einfluss von künstlichem Licht in der Nacht und die Wirkung von Lichtverschmutzung auf unsere Gesundheit besonders besorgniserregend.
Ein weiteres Argument bezieht sich auf die systematische Missachtung der wichtigen Rolle des nahen Infrarotlichts (NIR) bei dem Gesundheitszustand der Netzhaut. Moderne energieeffiziente Leuchtmittel wie Leuchtstofflampen und LEDs werden eigens entwickelt, um ihre NIR-Strahlung zu reduzieren oder eliminieren, da sie als verschwendete Wärmeenergie betrachtet wird. Dank der Forschungsstudien von Prof. Karu steht jedoch fest, dass die von der Photobiomodulation unterstützte zelluläre Regeneration im roten und nahen infraroten Bereich stattfindet. Experimente haben gezeigt, dass beschädigte Netzhautzellen sogar durch moderate Beleuchtungsstärken dieser Lichtquellen repariert werden können. Beim Sonnenlicht (sowie bei anderen traditionellen wärmeabstrahlenden Lichtquellen wie Kerzen und Glühlampen) wird der Blauanteil durch den Rot- und NIR-Anteil ausgewogen, was zu einem natürlichen Gleichgewicht zwischen oxidativem Stress und Regeneration innerhalb der Netzhaut führt. Leuchtmittel wie LEDs, die keine oder sehr wenig Wärme abstrahlen, haben eventuell keinen höheren Blauanteil als Sonnenlicht. Aber das kompensierende NIR fehlt ihnen auch. Demzufolge wäre es möglich, dass sie  möglicherweise vermehrt zu Dauerschäden der Netzhaut beitragen.

Ein weiteres Anliegen bei der Lichthygiene von LEDs ist die verbreitete Nutzung von der Pulsweitenmodulation (PWM) in den LED-Treibern, was üblicherweise zum stark gepulsten Licht führt. Es wird allgemein angenommen, dass das Licht dabei mit so hoher Frequenz oberhalb der Flimmerverschmelzungsfrequenz (50 bis 90 Hertz (Hz)) digital ein- und ausgeschaltet wird, dass das menschliche Auge den Wechsel nicht wahrnehmen kann. Das "unsichtbare" Flimmern kann aber zu Migräne, Kopfschmerzen und Augenmüdigkeit führen und trägt generell zur Umweltbelastung bei. In den jüngsten Untersuchungen wird auf die Wirkungen bei höheren Frequenzen als die bisher angenommenen hingewiesen und die neuesten IEEE-Empfehlungen verlangen PWM-Frequenzen oberhalb von 3000 Hz, um "biologische Effekte zu vermeiden". Die Fachleute, die es gewohnt sind, mit subtileren therapeutischen Lichteffekten zu arbeiten, fänden es wesentlich gesünder, PWM einfach zu eliminieren und LEDs über Gleichstrom zu betreiben, was technisch schwieriger aber durchaus machbar ist.

 

Licht zur Stimmungsaufhellung: psychotherapeutische Anwendungen

 

Jeder Lichtdesigner nutzt die Tatsache, dass wir uns natürlich zu reinen Farben hingezogen fühlen. Dieser Prozess ist von Lichttherapeuten kultiviert worden: Es wurden unterschiedliche Methoden entwickelt, die es ermöglichen, die tiefgehende Wirkung von Licht und Farbe auf unsere Stimmung, das Gleichgewicht unseres autonomen Nervensystems (ANS) und auch bei der Alternativmedizin auf die Meridiane und den Energiefluss im Körper auszuschöpfen.

Wenn auch in geringerem Ausmaß als bei der biochemisch geprägten Lichtmedizin, es werden auch klinische Forschungsprojekte zu den psychophysiologischen Wirkungen von Farbe und gepulstem Licht durchgeführt. Dazu gehören vielversprechende Wege wie audio-visuelle Stimulation, der differentielle Einfluss auf Gehirnhälften durch lateralisiertes Licht und meine eigene Forschung zum Thema Lichtmodulation. Diese verweisen auf psychotherapeutische Lichtanwendungen zur Behandlung von Depression, Burnout, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Schlafstörungen, Sucht, Lernschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Fibromyalgia, wo andere Standarttherapien nur bedingt erfolgreich sind. Sie bestätigen auch das komplexe Zusammenspiel von den visuellen und nicht visuellen Sehbahnen, welche durch weitere medizinische Forschung ermittelt wurden.

 

Licht als Information: Die Medizin der Zukunft

 

Neben den oben beschriebenen Wirkungen von Licht werden dank der Forschung im ultraschwachen Intensitätsbereich auch fundamentale Auswirkungen von Lichtanwendungen bekannt und anerkannt. Die Forschungsarbeiten vom Biophysiker Fritz-Albert Popp in den 70er Jahren stellten fest, dass Lebewesen ultraschwache Lichtquanten, genannt Biophotone, abstrahlen und absorbieren. Heute wird das Fachgebiet Biophotonik vorwiegend von Instituten in den Niederlanden und Japan betreut. Die neuesten Erkenntnisse liefern Hinweise für die Nutzung von Licht im diagnostischen Sinne sowie Informationen zum Einfluss von Licht auf Gesundheit und Wohlbefinden. Schaffen wir es, solche Mysterien zu entschlüsseln, wird Licht wahrhaftig zur Medizin der Zukunft.

 

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