Corrs Chambers Westgarth
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Der Schlüssel

Das neue Büro von Corrs Chambers Westgarth in Melbourne/AU.

Stellen wir uns unter der stereotypen Betrachtung von Anwaltskanzleien ein paar konkretere Bilder vor:
so denkt man also wohl eher an eine klassisch eingerichtete Büroeinteilung mit Teppichböden, zugeordneten Arbeitsplätzen und Schreibtischen in schließbaren Räumen mit Regalen voller Gesetzbücher, viele Aktenordnern und Papierstapeln sowie Sitzplätzen jeweils vor den Schreibtischen oder separierten Sitzgruppen für den vertraulichen Austausch mit Mandanten. Außerdem vermutet man noch einen atmosphärisch kalten Meetingraum, ein Sekretariat und einen Pausenraum mit Küche. Fenster gibt es, den Hauptteil in Sachen Beleuchtung erledigt aber beschränktes Decken- und Schreibtischlicht. Das alles ist altbewährt, übersichtlich, gefühlslos – und, außer ein paar verschrobenen Bildern an den Wänden, eben ohne weitere, erleuchtende Auffälligkeiten. Doch im Namen der Lichtdesigngemeinschaft ergeht nun folgendes Urteil: es geht auch anders.

Die Gestaltung einer neuen Anwaltskanzlei in Australien sollte sich also von den bisher gekannten Stereotypen unterscheiden. Das Massive und Gefühllose, üblicherweise symbolisiert von schweren Holzschreibtischen aus Mahagoni oder Eiche, Regalen, gefüllt mit schweren Rechtsbüchern, und metallenen Schreibtischleuchten hat in unserer Zeit ausgedient und sollte einem modernen Ansatz weichen. Alleine deshalb gehört das bisherige Verständnis der Vergangenheit an, weil die Recherche im Internet wohl auch die moderne Arbeitsweise von Rechtsanwälten mitprägt.

Das Team von Electrolight hat das Licht der neuen Büros ihres Mandanten Corrs Chambers Westgarth in Melbourne gestaltet. Neben einer souveränen und professionellen Architekturbeleuchtung wurde das Konzept mit einer eigens entworfenen Leuchte versehen, die dem mehrstöckigen Bürokomplex eben den besonderen Charakter verleiht. Diese Leuchte und das Lichtkonzept im Allgemeinen gehen eine Beziehung mit dem Interieur ein. Entstanden ist keine Anwaltskanzlei alter Schule mit typischen Räumen, um etwas Juristerei zu betreiben. Dafür sorgt auch die Kanzlei an sich, die
zu den führenden, unabhängigen Premium-Sozietäten Australiens mit Partnerschaften in der ganzen Welt gehört sowie die vorhergegangene Arbeit der Architekten von Bates Smart Architects, die sich in enger Absprache mit den Lichtdesignern der Raumgestaltung annahmen. Genügend Anspruch bestand somit von vornherein.

Das Büro liegt in einem Hochhaus im Zentrum von Melbourne, erstreckt sich über fünf Etagen vom 22. bis zum 26. Stockwerk und bietet einen besonderen Blick über die Stadt. Letzteres, weil es über eine offene, zentrale Halle mit deckenhoher Verglasung verfügt. Dadurch dringt tagsüber viel natürliches Licht in das Gebäude ein, wovon primär der großzügige Rezeptionsbereich im 25. Stock sowie die dortigen Warte- und Aufenthaltsbereiche für Klienten profitieren. Sie sind vorteilhaft
gen Süden ausgerichtet.

Die Glasfront stellt eine ideale tageslicht-bezogene Grundlage für das Lichtkonzept dar, welches sich darüber hinaus im Wesentlichen durch effektives, gut gestaltetes Kunstlicht auszeichnet. Die markante, stockwerkverbindende und zehn Meter hohe Halle, von der in diesem Büro alles ausgeht und die zugleich Quelle für ein außergewöhnlich gestaltetes Treppenhaus ist, zeigt, was einen in diesem Büro erwartet: Elegante Räume mit verschiedenartigen, eben auch atypischen Aufgaben, vollendet mit hochwertigen Details sowie mit mal glatten, polierten und harten oder wiederverwendeten, eher naturbezogen und weichen Materialien. All das zusammen soll einen zeitlosen und sinnlichen Bezug zur großstädtischen Umgebung draußen liefern und das internationale Firmenimage wiederspiegeln, so haben es sich die Verantwortlichen von Corrs Chambers Westgarth gewünscht und wurde es von Bates Smart Architects umgesetzt. Die Architektur ergänzende und benutzerorientierte Beleuchtung sollte von Electrolight nun genauso zeitgemäß und anspruchsvoll sowie mit einem Fokus vor allem auf Rezeption und Aufenthaltsbereiche generiert und zurückhaltend integriert werden. Störende Eingriffe des Lichts innerhalb der Räume mit ihren klaren, eleganten und subtilen Formen sollten minimal gehalten werden. Die Lichtgestaltung wurde so geplant, dass die bestimmenden Leuchten im Büro so platziert sind, dass sie mehr im Verborgenen liegen und somit dem Licht im Umkehrschluss sowie im Einklang mit dem Interieur einen guten Auftritt garantieren.

Um jeden Bereich und dessen Funktion individuell hervorzuheben, arbeiteten die Lichtgestalter mit verschiedenen Farbtemperaturen. Meetingräume sind deshalb kühler beleuchtet, um mehr Sachlichkeit auszustrahlen. Aufenthaltsbereiche oder die Rezeption nutzen dafür wärmeres Licht, um im Büro und somit für Mitarbeiter und Klienten eine entspannte Stimmung bei anspruchsvollem Ambiente zu kreieren. Auf allen Etagen sorgen Strahler für die grundsätzliche Ausleuchtung. Sie sind an kurzen oder langen, von der Decke abgehängten Stromschienen montiert und fallen in ihren dunklen Gehäusen aufgrund der Raummaterialien und -farben sowie der Deckenhöhen nicht überall auf. Ihr Licht unterstreicht auch die lamellenartigen Holzwände. Diese werden zudem auch durch lineares LED-Licht, wie auf der Rezeptionsebene oder am Ende eines Korridors und welches sich versteckt im Übergang von Wand zur Decke befindet, beleuchtet.

In der Nähe zur Rezeption befindet sich das Treppenhaus, welches von Stahlrohren wie ein Vorhang eingerahmt wird. LED-Linearlicht oben in der Decke flankiert die Rohre und erzeugt ein Streiflicht an ihnen entlang nach unten. Engstrahlende Richtstrahler sorgen für Licht

im gesamten Treppenbereich. Während das Sonnenlicht im Tagesverlauf durch die Lobby, Korridore und anderer Räume strömt, ist das Kunstlicht Schlüsselkomponente, um sich mit dem natürlichen Lichtfluss zu verbinden.

An dieser Stelle haben auch die projektspezifischen Pendelleuchten ihren Einspruch. Unterschiedlich in Form und Größe hängen sie im büroeigenen Café und auf der Chefetage. Ihre Gestaltung sowie ihr Licht, das aus den Winkelstreben nach innen leuchtet, sorgen zusammen mit der Einrichtung, den Materialien und Farben für eine offene Atmosphäre. Ihre Geometrie bezieht sich beispielsweise auf die lamellenartigen Holzwände oder andere markante Strukturen und Oberflächen innerhalb des Büros.

Doch das ist für mich noch nicht alles, was dieser Leuchtenentwurf symbolisiert. Es hat den Anschein, dass sich alle Beteiligten nicht wirklich bewusst waren und sind, welche Bedeutung sie mit dieser Leuchte für das Büro geschaffen haben. Sie ist irgendwie auch eine neue und moderne, dreidimensionale Interpretation des altehrwürdigen und so bedeutungsvollen Paragraphenschlüssels in Licht. Entstanden ist dieser einzig aus dem Bauchgefühl heraus, welche zu der Zustimmung der Bauherren und dem Entwicklungsprozess der Lichtdesigner zu dieser Form geführt hat. Sie zeugt von einer funktionierenden modernen Philosophie der Kanzlei in einer modernen Welt. Sie ist souverän und transparent. Aber wie gesagt, möglicherweise waren sich die Beteiligten dieser Symbolik nicht bewusst.

Dass eine Leuchte und ihr Design in diesem Projekt zu einem auffallend dekorativen und prägenden Element werden, ist anfangs nicht antizipiert gewesen. Das Zusammenspiel von außergewöhnlichem Interieur – also den in diesem Fall typischen sowie atypischen Räumen, der Einrichtung, den Materialien, Oberflächen und Farben – und der warmen und sensiblen Beleuchtung, machen aus dem Büro von Corrs Chambers Westgarth eine ganz andere Kanzlei als eingangs so klischeehaft vorgestellt. Trotz all der ernsten Juristerei, die hier vonstattengehen muss, entsteht viel deutlicher das Gefühl, sich in einer Sicherheitszone aufzuhalten, die eher einem vertrautem Café, einem Restaurant oder einer Hotellobby gleicht. Man hat zumindest das Gefühl, dass sich jemand um seine Belange kümmert. Das schafft zu Recht gute Arbeitsbedingungen zum einen und zufriedene Mandanten zum anderen.

Projektbeteiligte:

Architektur: Bates Smart Architects
Lichtdesign: Electrolight